Verrechnungspreisdokumentation und Fremdvergleichsgrundsatz

Erstellt von Sebastian Schulze, Geändert am Mo, 6 Okt um 10:14 VORMITTAGS von Sebastian Schulze

1. Grundlagen und gesetzlicher Rahmen der Verrechnungspreisdokumentation


Die Verpflichtung zur Dokumentation von Verrechnungspreisen (VP) wurde in Deutschland als Reaktion auf ein Grundsatzurteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 17.10.2001 eingeführt. Mit dem Steuervergünstigungsabbaugesetz (StVergAbG) von 2003 wurden die entsprechenden Regelungen in § 90 Abs. 3 Abgabenordnung (AO) aufgenommen.


Die Dokumentationspflicht betrifft ausschließlich grenzüberschreitende Geschäftsbeziehungen zwischen nahestehenden Personen im Sinne des § 1 Abs. 2 Außensteuergesetz (AStG). Nahestehende Personen liegen vor, wenn eine Person mindestens 25 % der Stimmrechte oder des Kapitals hält oder beherrschenden Einfluss ausüben kann.


Ziel der Dokumentation ist es, den Finanzbehörden einen Überblick über die Art der weltweiten Geschäftstätigkeit sowie die angewandte Systematik der Verrechnungspreisbestimmung zu verschaffen. Zudem soll die Dokumentation das ernsthafte Bemühen des Steuerpflichtigen belegen, seine Geschäftsbeziehungen unter Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes zu gestalten.

Dreistufiger Ansatz: Der deutsche Gesetzgeber folgte mit dem BEPS-UmsG (2016) der internationalen Entwicklung der OECD und führte einen dreistufigen Ansatz ein:

  1. Stammdokumentation (Master File): Bietet einen Überblick über die Art der weltweiten Geschäftstätigkeit der Unternehmensgruppe und ihre Verrechnungspreispolitik. Die Pflicht zur Erstellung besteht für multinationale Unternehmensgruppen, deren Umsatz im vorangegangenen Jahr mindestens 100 Mio. Euro betragen hat.
  2. Landesspezifische Dokumentation (Local File): Enthält Detailinformationen zu konkreten Transaktionen. Sie besteht aus der Sachverhalts- und der Angemessenheitsdokumentation.
  3. Länderbezogener Bericht (Country-by-Country Report – CbCR): Muss von inländischen Konzernobergesellschaften erstellt werden, wenn der konsolidierte Umsatz mindestens 750 Mio. Euro betragen hat. Er dient der ersten Einschätzung steuerlicher Risiken hinsichtlich Gewinnverlagerungen.

Inhalt des Local File: Die VP-Dokumentation erstreckt sich auf die Sachverhaltsdokumentation (Darstellung und Beschreibung der Geschäftsvorfälle) sowie die Angemessenheitsdokumentation (Beleg des ernsthaften Bemühens um den Fremdvergleichsgrundsatz).

Die Sachverhaltsdokumentation umfasst insbesondere:

  • Allgemeine Informationen (Beteiligungsverhältnisse, Geschäftsbetrieb).
  • Übersicht über Art und Umfang der Geschäftsbeziehungen.
  • Funktions- und Risikoanalyse (FAR): Informationen über ausgeübte Funktionen, übernommene Risiken, eingesetzte wesentliche Vermögenswerte und die Wertschöpfungskette.
  • Angaben zu vertraglichen Grundlagen und Geschäftsstrategien.


Die Angemessenheitsdokumentation erfordert Angaben zur angewandten Verrechnungspreismethode, deren Begründung, und die Aufbereitung der zum Vergleich herangezogenen Daten (Fremdvergleichsdaten).

Formelle Anforderungen und Sprache: Die Aufzeichnungen sind grundsätzlich in deutscher Sprache zu erstellen. Ausnahmen für eine ausländische Sprache (z. B. Englisch) können auf Antrag zugelassen werden, wobei gegebenenfalls ausgewählte Dokumente übersetzt werden müssen.


2. Zeitliche Anforderungen und Erleichterungen


Erstellungsfristen:

  • Außergewöhnliche Geschäftsvorfälle (z. B. Funktionsverlagerungen, Abschluss langfristiger Verträge, wesentliche Strategieänderungen) müssen zeitnah dokumentiert werden. Dies bedeutet, dass die Aufzeichnungen innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf des Wirtschaftsjahres zu fertigen sind, in dem sich der Geschäftsvorfall ereignet hat.
  • Für gewöhnliche Geschäftsvorfälle besteht keine Pflicht zur Vorab-Erstellung.

Vorlagefristen: Aufzeichnungen sollen in der Regel nur für Zwecke einer Außenprüfung angefordert werden. Der Steuerpflichtige muss einer entsprechenden Anforderung der Finanzverwaltung für gewöhnliche Geschäftsvorfälle innerhalb von 60 Tagen nachkommen. Für außergewöhnliche Geschäftsvorfälle beträgt die Vorlagefrist 30 Tage nach Anforderung.

Erleichterungen für kleinere Unternehmen (§ 6 GAufzV): Für "kleinere" Unternehmen, die bestimmte Schwellenwerte nicht überschreiten (z. B. Entgelte für Warenlieferungen maximal 6 Mio. Euro, Vergütungen für sonstige Leistungen maximal 600.000 Euro), gilt die Dokumentationspflicht als erfüllt, wenn sie auf Anforderung des Finanzamts fristgerecht Auskünfte erteilen und bereits vorhandene Unterlagen vorlegen.


3. Konsequenzen bei Pflichtverletzungen


Bei Verstößen gegen die Dokumentationspflichten drohen steuerliche Sanktionen nach § 162 Abs. 3 und 4 AO:

  • Schätzungsbefugnis: Werden die Aufzeichnungen nicht oder im Wesentlichen unverwertbar vorgelegt oder nicht zeitnah erstellt, wird widerlegbar vermutet, dass die steuerpflichtigen Einkünfte höher sind als die erklärten. Die Finanzverwaltung kann dann den ungünstigsten Wertinnerhalb der Bandbreite schätzen.
    • Aufzeichnungen sind unverwertbar, wenn sie einem sachverständigen Dritten nicht ermöglichen, innerhalb einer angemessenen Frist die verwirklichten Sachverhalte festzustellen und die Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes zu prüfen.
  • Steuerzuschläge: Bei Nichtvorlage oder Vorlage unverwertbarer Aufzeichnungen kann ein Zuschlag von mindestens 5.000 Euro und 5 % bis 10 % des ermittelten Mehrbetrags der Einkünfte festgesetzt werden.
  • Bei verspäteter Vorlage verwertbarer Aufzeichnungen droht ein Zuschlag von mindestens 100 Euro pro Tag bis zu einem Maximalbetrag von 1.000.000 Euro.


4. Der Fremdvergleichsgrundsatz und Methoden


Der Fremdvergleichsgrundsatz (Arm’s Length Principle) ist der international anerkannte Maßstab. Er verlangt, dass die Bedingungen konzerninterner Geschäfte denjenigen entsprechen, die voneinander unabhängige Unternehmenmiteinander vereinbart hätten. Dies dient der Vermeidung internationaler Doppelbesteuerung und Gewinnverlagerungen.

Prüfungsmaßstab: Der Fremdvergleich orientiert sich an der Denkfigur des doppelten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters, der stets im Sinne der eigenen Rechtseinheit handelt und alle wesentlichen Umstände des Geschäfts kennt.

Methodenauswahl (Best Method Rule): Die früher geltende starre Hierarchie der Methoden wurde abgelöst. Es gilt nun die "Best Method Rule" (§ 1 Abs. 3 Satz 5 AStG, ab 2022), wonach diejenige Methode anzuwenden ist, die im jeweiligen Einzelfall am besten geeignet ist.

Anerkannte Methoden: Die OECD-Verrechnungspreisleitlinien (OECD-TPG) und das deutsche Steuerrecht anerkennen primär fünf Methoden:

  1. Preisvergleichsmethode (CUP): Vergleicht den Verrechnungspreis direkt mit Preisen für gleiche oder vergleichbare Transaktionen zwischen unabhängigen Dritten.
  2. Wiederverkaufspreismethode (RPM): Leitet den Verrechnungspreis rückwärts vom Wiederverkaufspreis an Dritte ab, indem eine angemessene Bruttomarge abgezogen wird.
  3. Kostenaufschlagsmethode (C+): Ermittelt den Preis aus den Kosten des Leistungserbringers zuzüglich eines fremdüblichen Gewinnaufschlags. Diese wird häufig bei Routinedienstleistungen oder Lohnfertigern angewandt.
  4. Transaktionsbezogene Nettomargenmethode (TNMM): Vergleicht die Nettogewinnspanne (Renditekennziffern) aus einer Transaktion mit denen vergleichbarer unabhängiger Unternehmen. Sie wird oft für Routineunternehmen verwendet.
  5. Geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode (Profit Split): Teilt den gemeinsam erwirtschafteten Gewinn (Residualgewinn) zwischen den Parteien auf der Grundlage ihrer relativen Wertbeiträge auf. Sie ist vor allem bei Transaktionen mit einzigartigen immateriellen Werten (Intangibles) und hochgradig integrierten Geschäftsbeziehungen geeignet.

Hypothetischer Fremdvergleich: Kann kein tatsächlicher Fremdvergleich (mittels Marktdaten) durchgeführt werden, muss ein hypothetischer Fremdvergleich erfolgen. Dies ist oft der Fall bei Funktionsverlagerungen oder Transaktionen mit immateriellen Werten. Der Preis wird dann anhand ökonomisch anerkannter Bewertungsmethoden (z. B. Ertragswertverfahren, Discounted-Cashflow-Methoden) bestimmt.

Bandbreitenbetrachtung: Da der Fremdvergleich selten zu einem exakten Punktwert führt, ergibt sich meist eine Bandbreite von angemessenen Werten. Bei eingeschränkter Vergleichbarkeit der Daten muss die Bandbreite eingeengt werden. Liegt der vom Steuerpflichtigen angesetzte Preis außerhalb der Bandbreite (Interquartilsbereich), erfolgt eine Korrektur auf den Medianwert, sofern der Steuerpflichtige keinen anderen Wert glaubhaft macht.


5. Verhältnis zur verdeckten Gewinnausschüttung (vGA)


Verrechnungspreiskorrekturen können entweder über § 1 AStG (bei grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen) oder über die Vorschriften zur verdeckten Gewinnausschüttung (vGA) (§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG) vorgenommen werden.

Vorrangverhältnis: Grundsätzlich tritt § 1 Abs. 1 AStG gegenüber anderen Korrekturvorschriften zurück. Er kommt nur zur Anwendung, wenn er zu weitergehenden Berichtigungen führt. § 1 AStG dient somit als "Auffüllnorm" im Verhältnis zur vGA.

Unterschiede:

  • Die vGA erfordert die Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis, während § 1 AStG Geschäftsbeziehungen zwischen nahestehenden Personen mit Auslandsbezug erfasst.
  • Die vGA kann bereits aus formellen Gründen (z. B. Fehlen einer klaren, im Voraus getroffenen Vereinbarung beim beherrschenden Gesellschafter) ausgelöst werden.
  • Die Bewertung der vGA erfolgt grundsätzlich mit dem gemeinen Wert, der dem Fremdvergleichspreis entspricht.


Doppelbesteuerung: Die strikte Anwendung der nationalen Regeln kann zu einer Doppelbesteuerung führen. Diese soll durch Verständigungsverfahren (Mutual Agreement Procedure - MAP) oder Schiedsverfahren (z. B. EU-Schiedskonvention) vermieden werden. Vorabverständigungsverfahren (APA) bieten die Möglichkeit, Verrechnungspreismethoden präventiv mit der Finanzverwaltung abzustimmen.

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