Änderung von Steuerbescheiden nach § 173 AO

Erstellt von Sebastian Schulze, Geändert am Do, 10 Jul um 4:45 NACHMITTAGS von Sebastian Schulze

Die Bestimmung des § 173 Abgabenordnung (AO) ist eine der wichtigsten Vorschriften für die Korrektur von Steuerbescheiden. Sie ermöglicht es der Finanzbehörde, bestandskräftige Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, um nachträglich erlangte tatsächliche Erkenntnisse zu berücksichtigen. Ziel ist es, die materielle Richtigkeit der Steuerfestsetzung herzustellen, falls diese aufgrund nicht berücksichtigter steuerlich erheblicher Tatsachen materiell unrichtig ist.


1. Kernvoraussetzungen für eine Änderung nach § 173 AO


Eine Änderung eines Steuerbescheids nach § 173 AO setzt das kumulative Vorliegen folgender Bedingungen voraus:

  • Nachträglich bekannt gewordene Tatsachen oder Beweismittel:
    • Als "Tatsachen" im Sinne des § 173 AO gilt alles, was Merkmal eines steuergesetzlichen Tatbestandes sein kann, wie Zustände, Vorgänge, Beziehungen oder Verhältnisse.
    • "Nachträglich bekannt werden" bedeutet, dass die Tatsachen oder Beweismittel zum Zeitpunkt des ursprünglichen Bescheiderlasses bereits existierten, der Finanzbehörde als Institution jedoch nicht bekannt waren.
    • Entscheidend ist die Kenntnis der sachlich und örtlich zuständigen Finanzbehörde. Eine neue rechtliche Würdigung oder Schlussfolgerung aus bereits bekannten Informationen stellt keine "neue Tatsache" dar.
    • Die neuen Tatsachen müssen für die Steuerfestsetzung rechtserheblich sein, das heißt, die Steuerfestsetzung hätte bei deren Kenntnis anders ausfallen müssen.
  • Keine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 88 AO:
    • Die Finanzbehörde ist gemäß § 88 AO verpflichtet, den Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln.
    • Eine Änderung nach § 173 AO ist ausgeschlossen, wenn die Finanzbehörde bei pflichtgemäßer Erfüllung ihrer Ermittlungspflichten die Tatsachen bereits hätte feststellen können (Grundsatz "hätte kennen müssen").
    • Dies würde gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen, da die Finanzbehörde sich nicht auf eigene Ermittlungsfehler oder Organisationsmängel berufen darf, um eine Änderung zum Nachteil des Steuerpflichtigen vorzunehmen.
    • Eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht liegt insbesondere vor, wenn die Behörde offenkundigen Zweifelsfragen, die sich aus den Umständen ohne weiteres aufdrängen müssen, nicht nachgeht.
  • Einheit der Finanzverwaltung:
    • Die Finanzverwaltung wird grundsätzlich als eine einzige, einheitliche Institution betrachtet, auch wenn verschiedene Finanzämter oder Abteilungen beteiligt sind.
    • Wissen, das von einem Teil der Finanzverwaltung erlangt wird (z.B. durch einen Betriebsprüfer), ist grundsätzlich der gesamten Institution zuzurechnen.
    • Interne administrative Probleme oder mangelnde Informationsweitergabe (z.B. bei einem Zuständigkeitswechsel) dürfen nicht zu Lasten des Steuerpflichtigen gehen. Ein Zuständigkeitswechsel entbindet die Finanzbehörde nicht von ihrer Pflicht zur korrekten Sachverhaltsermittlung.
  • Kein (grobes) Verschulden des Steuerpflichtigen:
    • Bei steuermindernden Änderungen (§ 173 Abs. 1 Nr. 2 AO) darf dem Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran treffen, dass die Tatsachen erst nachträglich bekannt wurden.
    • Bei steuererhöhenden Änderungen (§ 173 Abs. 1 Nr. 1 AO) ist ein solches Verschulden nicht explizit erforderlich. Dennoch kann der Grundsatz von Treu und Glauben einer Änderung entgegenstehen, wenn der Steuerpflichtige seinen Mitwirkungspflichten vollständig nachgekommen ist und die Finanzbehörde die Informationen nicht ordnungsgemäß verarbeitet hat.


2. Spezifische Kontexte und Besonderheiten

  • Verhältnis zu Steuerfestsetzungen unter Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO):
    • Solange ein Steuerbescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht, kann er jederzeit aufgehoben oder geändert werden (§ 164 Abs. 2 AO). In diesem Fall ist § 173 AO nicht anwendbar.
    • Die Vorschriften des § 173 AO greifen erst, nachdem der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben wurde und der Bescheid somit Bestandskraft erlangt hat.
    • Wurde der Vorbehalt aufgehoben, obwohl die Finanzverwaltung bereits Kenntnis von relevanten Prüfungsergebnissen hatte, können diese Erkenntnisse später nicht als "neue Tatsachen" für eine Änderung nach § 173 AO herangezogen werden.
  • Änderungssperre nach Außenprüfung (§ 173 Abs. 2 AO):
    • Steuerbescheide, die aufgrund einer Außenprüfung ergangen sind, können nur geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt.
    • Diese restriktivere Regelung findet keine Anwendung, wenn der ursprüngliche Bescheid vor dem Abschluss der Betriebsprüfung erlassen wurde und die Prüfung somit nicht dessen Grundlage war.
  • Korrektur einer unzutreffenden Rechtsgrundlage:
    • Ein geänderter Steuerbescheid ist auch dann rechtmäßig, wenn die Finanzbehörde im Bescheid eine unzutreffende Rechtsgrundlage genannt hat.
    • Maßgeblich ist, ob die Änderung objektiv durch die Voraussetzungen einer anderen gültigen Änderungsnorm (z.B. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO) gedeckt war. Die Behörde kann die unzutreffende Begründung jederzeit durch Angabe der zutreffenden Norm ersetzen.
  • Beweislast:
    • Die objektive Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 173 AO trägt grundsätzlich die Finanzbehörde.
    • Der Steuerpflichtige muss jedoch beweisen, dass die Finanzbehörde ihre Ermittlungspflichten verletzt hat.


3. Rechtliches Gehör

Für den Fall, dass die Finanzverwaltung von einer abweichenden Rechtsauffassung ausgeht, ist die Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß § 91 AO ein grundlegender Verfahrensgrundsatz, der sicherstellt, dass dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit gegeben wird, seine Argumente vollständig vorzubringen und auf die Standpunkte der Finanzverwaltung zu reagieren.

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