Bilanzielle Behandlung immaterieller Vermögensgegenstände (IVG/IWG)
1. Einleitung und grundlegende Definitionen
Immaterielle Vermögensgegenstände (IVG) sind nicht-körperliche Werte, die zur Nutzung im Geschäftsbetrieb bestimmt sind und entweder entgeltlich erworben (angeschafft) oder selbst geschaffen (hergestellt) wurden. Für den Ansatz in der Bilanz ist die Unterscheidung zwischen Anschaffung und Herstellung von zentraler Bedeutung, da hiervon abweichende Ansatzpflichten und -verbote im Handelsrecht (HGB) und Steuerrecht (EStG) abhängen.
Ein Vermögensgegenstand liegt vor, wenn das Gut nach der Verkehrsauffassung einzeln verwertbar ist. Immaterielle Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens umfassen beispielsweise Software/Computerprogramme, gewerbliche Schutzrechte (Patente) sowie unternehmensspezifisches Know-how und Rezepturen.
2. Die zentrale Abgrenzung: Anschaffung vs. Herstellung
Die bilanzielle Behandlung richtet sich danach, ob die immateriellen Güter entgeltlich erworben wurden oder im Rahmen einer Selbsterstellung entstanden sind:
| Kriterium | Entgeltlich erworbene IVG/IWG (Anschaffung) | Selbst geschaffene IVG/IWG (Herstellung) |
|---|---|---|
| Erwerbsart | Abgeleiteter Erwerb. Erwerb gegen Erbringung einer Gegenleistung im Rahmen eines entgeltlichen Leistungsaustauschs mit Außenstehenden. | Originärer Erwerb (Eigenentwicklung). Die Entwicklung erfolgt durch eigenes Personal oder durch Dritte im Rahmen eines Dienstvertrags. |
| Risikoträger | Risiko liegt beim Dritten (Verkäufer/Werkunternehmer). | Das Risiko der Herstellung oder Anwendungsfähigkeit liegt beim Auftraggeber/Anwender. |
| Handelsbilanz (HGB) | Aktivierungspflicht. | Aktivierungswahlrecht (§ 248 Abs. 2 Satz 1 HGB). |
| Steuerbilanz (EStG) | Aktivierungspflicht. | Aktivierungsverbot (§ 5 Abs. 2 EStG). |
Wenn ein Unternehmen selbst geschaffene immaterielle Vermögensgegenstände des Anlagevermögens handelsrechtlich aktiviert, wird die Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz durch das Aktivierungsverbot des § 5 Abs. 2 EStG durchbrochen.
3. Bilanzielle Behandlung nach HGB und EStG (Anlagevermögen)
3.1 Handelsrecht (HGB)
- Aktivierungswahlrecht: Selbst geschaffene IVG des Anlagevermögens (z.B. selbst entwickelte Software oder Patente) sind nach § 248 Abs. 2 Satz 1 HGB wahlweise aktivierbar. Dieses Wahlrecht soll innovativen Unternehmen ermöglichen, ihre Außendarstellung, z.B. durch eine höhere Eigenkapitalquote, zu verbessern.
- Aktivierungsverbot: Ein striktes Verbot besteht für selbst geschaffene Marken, Drucktitel, Verlagsrechte, Kundenlisten oder vergleichbare immaterielle Vermögensgegenstände des Anlagevermögens (§ 248 Abs. 2 Satz 2 HGB).
- Bewertung und Abgrenzung: Erfolgt eine Aktivierung, sind die IVG mit Herstellungskostenzu bewerten (§ 255 Abs. 2a Satz 1 HGB).
- Entwicklungskosten (Anwendung von Forschungsergebnissen zur Neuentwicklung oder wesentlichen Verbesserung) können aktiviert werden.
- Forschungskosten (eigenständige, planmäßige Suche nach neuen Erkenntnissen) unterliegen einem strikten Aktivierungsverbot.
- Folgen der Aktivierung: Bei Ausübung des Aktivierungswahlrechts sind der Gesamtbetrag der Forschungs- und Entwicklungskosten des Geschäftsjahres sowie der darauf entfallende aktivierte Betrag im Anhang anzugeben (§ 285 Nr. 22 HGB). Zudem greift die Ausschüttungssperre nach § 268 Abs. 8 HGB.
- Nutzungsdauer: Ist die tatsächliche Nutzungsdauer nicht verlässlich schätzbar, ist eine planmäßige Abschreibung über zehn Jahre vorgesehen.
3.2 Steuerrecht (EStG)
- Aktivierungsverbot: Gemäß § 5 Abs. 2 EStG dürfen selbst geschaffene immaterielle Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens nicht angesetzt werden. Dies gilt auch dann, wenn der Anwender das Herstellungsrisiko trägt, selbst wenn fremde Auftragnehmer in die Herstellung eingeschaltet waren.
- Folge: Die Aufwendungen für die Selbsterstellung werden sofort als Betriebsausgaben abgezogen. Dies wird als steuerliche Förderung von Forschung und Entwicklung interpretiert.
3.3 Umlaufvermögen
Für selbst geschaffene immaterielle Werte des Umlaufvermögens (z.B. Software, die für einen konkreten Kundenauftrag entwickelt wurde) besteht sowohl handelsrechtlich als auch steuerrechtlich Aktivierungspflicht zu Herstellungskosten.
4. Spezielle Fälle: Software und Modifikationen
- Website/Homepage:Eine Homepage-Software ist grundsätzlich ein immaterieller Vermögensgegenstand des Anlagevermögens, da sie selbstständig verwertbar und bewertbar ist und langfristig dienen soll.
- Selbst geschaffen: Handelsrechtliches Wahlrecht zur Aktivierung der Entwicklungs- und Programmierkosten. Steuerrechtlich gilt das Aktivierungsverbot (§ 5 Abs. 2 EStG). Eine selbst programmierte Website wird jedoch häufig als vergleichbarer immaterieller Wert betrachtet, der dem handelsrechtlichen Aktivierungsverbot des § 248 Abs. 2 Satz 2 HGB unterliegen kann.
- Domain-Name: Die Domain-Adresse ist ein eigenständiges immaterielles Wirtschaftsgut (ähnliches Recht i. S. d. § 266 Abs. 2 Buchst. A I 1 HGB). Kosten für die Registrierung oder den Erwerb stellen Anschaffungskosten dar. Ein Domain-Name gilt (derzeit) grundsätzlich als wirtschaftlich nicht abnutzbar und kann daher nicht planmäßig abgeschrieben werden.
- Modifikationen und Customizing:
- Wesentliche Erweiterung: Führen nachträgliche Maßnahmen zu einer Erweiterung oder wesentlichen Verbesserung der Software, sind die Kosten als nachträgliche Anschaffungs- oder Herstellungskosten zu aktivieren.
- Customizing: Die Anpassung von Standardsoftware an betriebliche Abläufe kann zu aktivierungspflichtigen nachträglichen Anschaffungskosten führen, wenn die Anpassungen zur Herstellung der Betriebsbereitschaft notwendig sind.
- Laufender Aufwand: Aufwendungen für Wartung, Fehlerbehebung (Bugfixes) und geringfügige Änderungen (Updates) zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit sind in der Regel sofort abzugsfähiger Erhaltungsaufwand (Betriebsausgaben).
5. Konsequenzen bei Bewertungsdifferenzen
Wird das handelsrechtliche Aktivierungswahlrecht ausgeübt, entsteht eine temporäre Differenz zur Steuerbilanz (Steuerwert in der Regel 0 €). Dies führt zur Notwendigkeit der Bildung passiver latenter Steuern gemäß § 274 Abs. 1 HGB in Verbindung mit § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB. Die latente Steuer wird auf Basis der sich im Zeitablauf abbauenden Differenz zwischen handels- und steuerrechtlichen Wertansätzen ermittelt.
Checkliste: Prüfung immaterieller Vermögensgegenstände (IVG/IWG)
Diese Checkliste fasst die wesentlichen Prüfschritte zur korrekten Bilanzierung immaterieller Werte zusammen.
| Nr. | Prüfpunkt (HGB & EStG) | Kriterien und Gesetzesgrundlagen | Folge bei "Ja" |
|---|---|---|---|
| 1. | Liegt ein VG/WG vor? | Ist das Gut nach der Verkehrsauffassung einzeln verwertbar (verkäuflich, lizenzierbar, nutzbar)? | Fortfahren. Bei Nein: Sofort Aufwand. |
| 2. | Zuordnung | Ist das Gut dazu bestimmt, dem Geschäftsbetrieb dauernd zu dienen(Anlagevermögen)? | Bei Umlaufvermögen (Auftragsfertigung): Aktivierungspflicht (HGB & EStG). |
| 3. | Zugangsart | Wer trägt das Herstellungsrisiko?(Anschaffung = Erfolg geschuldet / Herstellung = Risiko beim Anwender). | Bei Anschaffung (entgeltlicher Erwerb): Aktivierungspflicht (HGB & EStG). Bei Herstellung (selbst geschaffen): Weiter mit Punkt 4. |
| 4. | HGB: Ansatzverbote? | Fällt das Gut unter § 248 Abs. 2 Satz 2 HGB (Marken, Kundenlisten oder vergleichbare Werte)? | Bei Ja: Aktivierungsverbot (HGB & EStG). Sofort Aufwand. |
| 5. | HGB: F&E-Trennung | Können Forschungs- und Entwicklungskosten verlässlichunterschieden werden? (§ 255 Abs. 2a Satz 4 HGB). | Bei Nein: Aktivierung ausgeschlossen (HGB). Sofort Aufwand. |
| 6. | HGB: Aktivierungswahlrecht | Sind alle Voraussetzungen für die Aktivierung der Entwicklungskosten erfüllt (technische Realisierbarkeit, Verwertungsabsicht)? (§ 248 Abs. 2 Satz 1 HGB). | Bei Ausübung des Wahlrechts: Aktivierung zu Herstellungskosten (HK). Folgepflichten (Ausschüttungssperre, Anhangangaben) beachten. |
| 7. | EStG: Aktivierungsverbot | Ist das Gut selbst geschaffen? (§ 5 Abs. 2 EStG). | Bei Ja: Steuerbilanz: Sofortiger Betriebsausgabenabzug. |
| 8. | Folgekosten/Modifikationen | Handelt es sich um laufende Wartung (Erhaltungsaufwand) oder um eine Erweiterung/wesentliche Verbesserung? | Bei Erweiterung: Aktivierung als nachträgliche HK/AK. Bei Wartung: Sofort Aufwand. |
| 9. | Nutzungsdauer | Ist die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer des aktivierten Guts bestimmbar? (§ 253 Abs. 3 HGB) | Wenn nicht schätzbar (HGB): 10 Jahre Abschreibung (§ 253 Abs. 3 Satz 3 HGB). |
| 10. | Dokumentation | Liegt eine Dokumentation zur Abgrenzung F&E, zur Nutzungsdauer und zur Verfolgung der Ansatzstetigkeit vor? | Erforderlich für die Anerkennung der Aktivierung. |
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