Umsatzsteuerliche Abgrenzung von Lieferungen und sonstigen Leistungen bei Speisen und Getränken

Erstellt von Sebastian Schulze, Geändert am Di, 15 Jul um 1:33 NACHMITTAGS von Sebastian Schulze

Die umsatzsteuerliche Einordnung der Abgabe von Speisen und Getränken ist für die Anwendung des korrekten Steuersatzes – entweder des ermäßigten Steuersatzes von **7 %** oder des Regelsteuersatzes von **19 %** – von entscheidender Bedeutung. Eine klare Abgrenzung zwischen einer **Lieferung von Speisen** und einer **sonstigen Leistung** (Restaurations- oder Verpflegungsdienstleistung) ist hierfür notwendig.


**1. Grundlegende Unterscheidung und historische Entwicklung**


Historisch wurde die Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle im deutschen Umsatzsteuerrecht zunächst als Lieferung angesehen, wobei der ermäßigte Steuersatz hierfür ausgeschlossen war. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied jedoch, dass solche Umsätze als **Dienstleistungen** (sonstige Leistungen) zu qualifizieren sind. Daraufhin stellte der deutsche Gesetzgeber in § 3 Abs. 9 UStG klar, dass die Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle eine sonstige Leistung darstellt. Spätere Regelungen und Rechtsprechungen, insbesondere die EU-Durchführungsverordnung (MwStVO) Nr. 282/2011, präzisierten diese Abgrenzung weiter. Die MwStVO ist seit dem 1. Juli 2011 unionsrechtlich verbindlich und hat Vorrang bei der Auslegung.


**2. Kriterium der "überwiegenden Dienstleistung" (Gesamtbetrachtung)**


Die zentrale Frage zur Unterscheidung ist, ob der **Dienstleistungsanteil qualitativ überwiegt**. Dienstleistungen, die notwendig mit der reinen Vermarktung von Lebensmitteln verbunden sind, bleiben bei dieser Gesamtbetrachtung unberücksichtigt.


**3. "Unschädliche" Dienstleistungselemente (führen zu 7 % Umsatzsteuer)**


Folgende Dienstleistungselemente sind als **notwendig mit der Vermarktung** verzehrfertiger Speisen verbunden und beeinflussen daher die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes **nicht negativ**; sie werden bei der Gesamtbetrachtung *nicht* berücksichtigt:


*   Die **Zubereitung der Speisen** (z.B. Kochen, Braten, Backen). Die Qualität oder Komplexität der Zubereitung ist dabei unerheblich.

*   Das **Verpacken der Speisen**, auch in Warm- oder Kühlbehältern.

*   Die **Beigabe von Einweggeschirr oder -besteck** sowie von Papierservietten. Wenn das Geschirr vornehmlich Verpackungsfunktion erfüllt, stellt dessen Überlassung kein schädliches Dienstleistungselement dar.

*   Die **Bereitstellung von Verkaufstheken und -tresen** sowie **Ablagebrettern** an Kiosken oder Verkaufsständen.

*   Die Abgabe von **Senf, Ketchup, Mayonnaise** oder ähnlichen Beigaben.

*   Die Bereitstellung von **Abfalleimern** an Verkaufsständen.

*   Der **Transport der Speisen und Getränke** zum Ort des Verzehrs, einschließlich Kühlen oder Wärmen und der Nutzung besonderer Behältnisse oder der Vereinbarung eines festen Lieferzeitpunkts.

*   Die Abgabe von Waren aus **Verkaufsautomaten** ist immer eine Lieferung.

*   Die bloße Erstellung von Leistungsbeschreibungen (z.B. Speisekarten) oder allgemeine Erläuterungen des Angebots.


**4. "Schädliche" Dienstleistungselemente (können zu 19 % Umsatzsteuer führen)**


Dienstleistungselemente, die **nicht notwendig mit der Vermarktung** verbunden sind, sind im Rahmen der Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen und können zu einer sonstigen Leistung (19 %) führen, wenn sie qualitativ überwiegen:


*   Die Bereitstellung einer die Bewirtung fördernden Infrastruktur, wie **Räumlichkeiten, Tische und Stühle oder Bänke** (z.B. Bierzeltgarnituren). Auf die Qualität der Infrastruktur kommt es nicht an.

*   Das **Servieren von Speisen und Getränken**.

*   Die Gestellung von **Bedienungs-, Koch- oder Reinigungspersonal**.

*   Die Nutzungsüberlassung von **Geschirr oder Besteck** (wenn es keine reine Verpackungsfunktion erfüllt). Die Reinigung bzw. Entsorgung dieser Gegenstände ist ebenfalls ein berücksichtigungsfähiges Element, wenn die Überlassung der Gegenstände selbst ein solches darstellt.

*   Die Nutzungsüberlassung von Mobiliar außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmers.

*   Die Bereitstellung von **Garderoben und Toiletten**.

*   **Individuelle Beratung** bei der Auswahl oder Zusammenstellung von Speisen und Getränken für einen bestimmten Anlass.


**5. Bedeutung der Infrastruktur von Dritten**


Dienstleistungselemente, die von Dritten erbracht werden, sind **grundsätzlich nicht bei der Beurteilung der Leistung des einzelnen Unternehmers zu berücksichtigen**. Eine Ausnahme besteht, wenn dem Speisestandbetreiber ein **ausdrückliches oder konkludent vereinbartes Mitbenutzungsrecht** an diesen Dienstleistungselementen eingeräumt wurde, das über die allgemeine Duldung hinausgeht.


*   **Beispiel**: Bei einem "Breznläufer" in einem fremden Bierzelt, bei dem die Biertischgarnituren den Umsätzen des Festzeltbetreibers dienen und dem Brezenläufer kein eigenes Mitbenutzungsrecht zugerechnet wird, liegt eine begünstigte Lieferung vor.

*   **Ausnahme "Food Courts"**: In "Food Courts" in Einkaufszentren wird die gemeinsam genutzte Infrastruktur den einzelnen Unternehmern **zugerechnet**, auch wenn sie vom Einkaufszentrum selbst bereitgestellt wird, da sie dem Zweck dient, den dort gekauften Speisenverzehr zu fördern.

*   **Nicht zu berücksichtigende Vorrichtungen von Dritten**: Vorrichtungen, die nach ihrer Zweckbestimmung nicht in erster Linie dazu dienen, den Verzehr von Speisen und Getränken zu erleichtern (z.B. Stehtische und Sitzgelegenheiten in Wartebereichen von Kinos, die Bestuhlung in Kinos, Theatern und Stadien, Parkbänke im öffentlichen Raum), sind nicht zu berücksichtigen. Dies gilt auch, wenn sich an diesen Gegenständen einfache, behelfsmäßige Vorrichtungen befinden, die den Verzehr fördern sollen (z.B. Getränkehalter, Ablagebretter).


**6. Bedeutung der Absichtserklärung des Kunden ("Zweckabrede")**


Bietet der Unternehmer (oder Dritte, die ihm zugerechnet werden) eine Infrastruktur an, die eine sonstige Leistung begründen könnte (z.B. Tische und Stühle), ist die **Absichtserklärung des Kunden zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses maßgeblich**.


*   Bringt der Kunde zum Ausdruck, dass er die Speise **„zum Mitnehmen“** wünscht, liegt eine **begünstigte Lieferung** vor. Dies gilt auch, wenn er die Speisen später doch vor Ort verzehrt.

*   Erklärt der Kunde, die Speise **„zum Hieressen“** zu wollen, liegt eine **nicht begünstigte sonstige Leistung** vor, sofern eine bewirtungsfördernde Infrastruktur vorhanden ist und dem Unternehmer zugerechnet werden kann. Die tatsächliche Nutzung der bereitgestellten Einrichtungen ist unerheblich.

*   Wenn der Unternehmer jedoch **keine über die Vermarktung hinausgehenden Dienstleistungen oder bewirtungsfördernden Vorrichtungen selbst bereitstellt** (wie bei einem reinen Imbissstand mit Theke/Ablagebrett), dann handelt es sich **immer um eine Lieferung**, unabhängig von der Absicht des Kunden.


**7. Aktuelle Umsatzsteuersätze (seit 01.01.2024)**


Die temporäre Absenkung des Umsatzsteuersatzes für Restaurationsleistungen auf 7 % (bzw. zuvor 5 %) ist zum **31.12.2023 ausgelaufen**.


*   **Lieferungen von Speisen**: **7 %** Umsatzsteuer.

*   **Sonstige Leistungen (Restaurationsleistungen)**: **19 %** Umsatzsteuer.

*   **Getränke** unterliegen unabhängig von der Art der Leistung (Lieferung oder sonstige Leistung) grundsätzlich dem Regelsteuersatz von **19 %**. Ausnahmen sind wenige spezifische Getränke wie Leitungswasser, Milch und bestimmte Milchmischgetränke.


**8. Praxisbeispiele**


*   **Imbissstand mit einfacher Theke/Ablagebrett**: Der Verkauf von Bratwürstchen und Pommes frites an einem mobilen Imbisswagen, der lediglich über eine Verkaufstheke oder ein Ablagebrett verfügt, aber keine höherwertigen Verzehrvorrichtungen wie Tische und Bänke, unterliegt als Lieferung dem ermäßigten Steuersatz von 7 %. Selbst wenn der Veranstalter Stehtische bereitstellt, aber der Imbisswagenbetreiber keine zusätzlichen Dienstleistungen wie Reinigung der Tische erbringt, bleibt es bei einer Lieferung.

*   **Imbissstand mit Bierzeltgarnituren**: Stellt der Imbissstandbetreiber selbst Tische und Sitzgelegenheiten (z.B. Bierzeltgarnituren) zur Verfügung, wird die Schwelle zum Restaurationsumsatz überschritten. Für zum Vor-Ort-Verzehr abgegebene Speisen unterliegen die Umsätze dem Regelsteuersatz von 19 %, während "Mitnahme-Umsätze" begünstigte Lieferungen bleiben.

*   **Partyservice**:

    *   Die bloße Lieferung von Speisen in Warmhaltebehältern oder auf Platten, auch mit individueller Beratung und anschließender Reinigung der Verpackungsgefäße, ist eine begünstigte Lieferung.

    *   Die Überlassung von Geschirr und Besteck (wenn es keine reine Verpackungsfunktion hat) oder die Verpflichtung zur Entsorgung des Einweggeschirrs durch den Partyservice selbst, können zu einer sonstigen Leistung führen.

*   **Kino-Foyer**: Der Verkauf von Popcorn und Nachos in Kinofoyers, auch wenn Tische und Sitzgelegenheiten vorhanden sind, kann eine Lieferung sein, wenn diese Vorrichtungen nicht primär dem Verzehr dienen, sondern allgemein für Kinobesucher vorgehalten werden (z.B. als Warteraum) und der Dienstleistungsanteil nicht überwiegt.


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