Trinkgelder in Deutschland: Ein umfassender Leitfaden zur steuerlichen und rechtlichen Behandlung

Erstellt von Sebastian Schulze, Geändert am Mo, 14 Jul um 8:19 VORMITTAGS von Sebastian Schulze

Die korrekte Behandlung von Trinkgeldern in Deutschland ist ein vielschichtiges Thema, das sowohl für Arbeitnehmer als auch für Selbstständige und Arbeitgeber wichtige rechtliche und steuerliche Implikationen mit sich bringt. Die steuerliche Einordnung ist dabei von entscheidender Bedeutung für die Frage der Steuer- und Sozialversicherungspflicht.


I. Begriffsbestimmung und allgemeine Grundsätze


Trinkgeld ist ein Geldbetrag, den ein Dritter (z.B. ein Kunde oder Gast) ohne rechtliche Verpflichtung einem Arbeitnehmer zusätzlich zu einer dem Arbeitgeber geschuldeten Leistung zahlt. Es handelt sich um eine freiwillige Zuwendung, die in der Regel Ausdruck der Zufriedenheit mit der Qualität der Arbeitsleistung ist und primär an die Person des Dienstleisters gebunden ist. Die Freiwilligkeit ist ein entscheidendes Kriterium für die Qualifizierung als steuerfreies Trinkgeld.


Typische Branchen, in denen Trinkgelder gewährt werden, sind das Gaststättengewerbe, das Friseurhandwerk, das Taxigewerbe, sowie an Postboten, Pflegepersonal und Verkaufsfahrer.

Historisch gesehen war es in einigen Dienstleistungsberufen üblich, dass das Einkommen hauptsächlich aus Trinkgeldern bestand. Um prekäre Arbeitsverhältnisse zu vermeiden und ein stabiles Grundeinkommen zu gewährleisten, verbietet § 107 Abs. 3 Satz 1 GewO ausdrücklich, dass das regelmäßige Arbeitsentgelt durch Trinkgeld ersetzt oder Arbeitnehmer ausschließlich für Trinkgeld arbeiten dürfen. Diese Regelung stellt sicher, dass Trinkgeld immer eine zusätzliche Zuwendung bleibt und nicht den regulären Lohn ersetzt.


II. Steuerliche und sozialversicherungsrechtliche Behandlung


Die steuerliche und sozialversicherungsrechtliche Behandlung von Trinkgeldern hängt maßgeblich vom Status des Empfängers und der Natur der Zuwendung ab.


A. Für Arbeitnehmer (Angestellte)


Für Arbeitnehmer sind Trinkgelder unter bestimmten Voraussetzungen steuerfrei.

  1. Freiwillige Trinkgelder: Voraussetzungen für Steuer- und Beitragsfreiheit

    • Trinkgelder sind steuer- und sozialversicherungsfrei, wenn sie freiwillig von Dritten (Kunden/Gästen) an den Arbeitnehmer anlässlich einer Arbeitsleistung gezahlt werden.
    • Es darf kein Rechtsanspruch auf das Trinkgeld bestehen.
    • Die Zahlung muss zusätzlich zu dem für die Arbeitsleistung geschuldeten Betrag erfolgen und darf nicht den regulären Lohn ersetzen.
    • Die Steuerfreiheit gilt ohne betragsmäßige Begrenzung (§ 3 Nr. 51 EStG), seit die frühere Freibetragsgrenze von 1.224 EUR (bis 31.12.2001: 2.400 DM) rückwirkend zum 1.1.2002 abgeschafft wurde.
    • Ein persönlicher Bezug zwischen dem Trinkgeldgeber und dem empfangenden Arbeitnehmer ist erforderlich. Es handelt sich um eine freiwillige, typischerweise persönliche Zuwendung als Anerkennung für die erbrachte Mühewaltung.
  2. Hohe Trinkgeldbeträge Obwohl die betragsmäßige Begrenzung aufgehoben wurde, bedeutet dies nicht, dass Trinkgelder in beliebiger Höhe steuerfrei sind. Gerichte haben entschieden, dass extrem hohe Zahlungen (z.B. 50.000 EUR oder 1,3 Mio. EUR an Prokuristen) das allgemeine Begriffsverständnis von "Trinkgeld" deutlich übersteigen und daher als steuerpflichtiger Arbeitslohn eingestuft werden. Solche Beträge werden nicht als "kleines Geldgeschenk" angesehen und es fehlt oft der typische persönliche Kunden- oder Dienstleistungsbezug.

  3. Trinkgelder mit Rechtsanspruch: Steuer- und Beitragspflicht Trinkgelder, auf die der Arbeitnehmer einen Rechtsanspruch hat, sind in voller Höhe lohnsteuer- und sozialversicherungspflichtig. Beispiele hierfür sind:

    • Feste Bedienungszuschläge (z.B. 10 oder 15 %) im Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe.
    • Metergelder im Möbeltransportgewerbe.
    • Tronc-Einnahmen von Croupiers in Spielbanken, da sie vom Arbeitgeber stammen und ein Annahmeverbot besteht.
    • Trinkgeldzahlungen des Arbeitgebers an seine Arbeitnehmer.
    • Freiwillige Sonderzahlungen konzernverbundener Unternehmen, die als Trinkgeld deklariert werden, da sie aus der Sphäre des Arbeitgebers stammen.
  4. Die Existenz eines Rechtsanspruchs transformiert die Zahlung von einer "freiwilligen Zuwendung Dritter" zu einem "Bestandteil des Arbeitslohns", der steuerpflichtig ist.


B. Für Unternehmer und Selbstständige/Freelancer


Für Unternehmer, Selbstständige und Freelancer gilt die Steuerbefreiung des § 3 Nr. 51 EStG explizit nicht.

  1. Ertragsteuerliche Behandlung Trinkgelder, die ein Unternehmer oder Selbstständiger erhält, stellen stets eine Betriebseinnahme dar. Diese erhöhen den Gewinn und unterliegen der Einkommensteuer (bei Einzelunternehmen und Personengesellschaften) bzw. der Körperschaftsteuer (bei Kapitalgesellschaften). Für Selbstständige ist das Trinkgeld nicht "zusätzlich" zu einem Lohn, sondern eine direkte Erhöhung des Entgelts für die erbrachte unternehmerische Leistung.

  2. Umsatzsteuerliche Behandlung Trinkgelder, die an Unternehmer oder Selbstständige gezahlt werden, sind grundsätzlich umsatzsteuerpflichtiges Entgelt und müssen in die Bemessungsgrundlage der Umsatzsteuer einbezogen werden. Hingegen zählen Trinkgelder, die an das Personal gezahlt werden, nicht zum Entgelt des Unternehmers.

  3. Dokumentationspflichten Unternehmer sollten detaillierte und glaubwürdige Aufzeichnungen über alle erhaltenen Trinkgelder führen. Fehlende oder unglaubwürdige Aufzeichnungen können zu hohen fiktiven Zuschätzungen zu den Betriebseinnahmen durch das Finanzamt führen und im schlimmsten Fall den Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllen.


III. Besondere Aspekte der Trinkgeldverwaltung


A. Behandlung von Bar- und Kartenzahlungen


Die Steuerfreiheit des Trinkgeldes für Arbeitnehmer ist unabhängig davon, ob es bar oder unbar (z.B. per EC-Karte, Kreditkarte oder App) gezahlt wird.

  1. Bargeldlose Zahlungen und die Rolle des Arbeitgebers

    • Bei bargeldlosen Zahlungen geht das Geld zunächst auf das Konto des Arbeitgebers.
    • Die Steuerfreiheit entfällt nicht, wenn der Arbeitgeber als eine Art Treuhänder bei der Aufbewahrung und Verteilung der Gelder eingeschaltet ist. Der Arbeitgeber leitet dabei kein eigenes Geld weiter, sondern das der Gäste.
    • Wichtig ist, dass der Arbeitgeber lediglich als "Durchleiter" agiert und die Natur der Zahlung nicht verändert. Wenn der Arbeitgeber die Verteilung bestimmt oder die Zahlungen aus seiner eigenen Sphäre stammen (z.B. von konzernverbundenen Unternehmen), geht die Steuerfreiheit verloren, und die Zahlung wird als steuerpflichtiger Arbeitslohn qualifiziert.
    • Die Auszahlung muss klar getrennt vom regulären Arbeitslohn erfolgen und darf nicht auf der Lohnabrechnung erscheinen oder mit dem Gehalt verrechnet werden. Idealerweise wird im Verwendungszweck "Trinkgeld" vermerkt.
    • Die Buchung von unbarem Trinkgeld in der Unternehmensbuchführung sollte als durchlaufender Postenerfolgen, da es im Namen und für Rechnung eines anderen vereinnahmt und verausgabt wird. Das Trinkgeld ist dabei die Differenz zwischen der Zahlung des Gastes und dem eigentlichen Entgelt.
  2. Buchungsbeispiele für Gastronomen (bei Kartenzahlung)

    • Buchung bei Kreditkartenzahlung (Erhalt des Geldes):
      • Soll: Geldtransit
      • Haben: Erlöse (mit entsprechender Umsatzsteuer) und Fremdgeld (Trinkgeld)
    • Buchung bei Trinkgeldauszahlung an das Personal:
      • Soll: Fremdgeld (Trinkgeld)
      • Haben: Kasse
    • Buchung bei Gutschrift auf dem Bankkonto (Empfang vom Kartenanbieter):
      • Soll: Bank
      • Haben: Geldtransit
    • Trinkgelder an Gastronomen selbst sind keine durchlaufenden Posten und erhöhen die Betriebseinnahmen und unterliegen der Umsatzsteuer.

B. Trinkgeldpools und deren Verteilung


Trinkgelder, die in einer gemeinsamen Kasse gesammelt und unter den Mitarbeitern verteilt werden (sogenannte Trinkgeldpools oder Tronc-Systeme), können grundsätzlich weiterhin steuerfrei sein.

  1. Voraussetzungen für die Steuerfreiheit bei Pooling-Systemen

    • Der Bundestag hat bestätigt, dass Trinkgelder steuerfrei bleiben, auch wenn sie in einem zentralen Fonds gesammelt und später verteilt werden.
    • Der Verteilungsschlüssel kann von den Mitarbeitern selbst oder vom Arbeitgeber festgelegt werden.
    • Die Verteilung sollte zeitnah erfolgen (idealerweise nach jeder Schicht oder jedem Tag), um den direkten Bezug zur erbrachten Leistung und die Freiwilligkeit der Zuwendung zu wahren.
    • Der persönliche Bezug zwischen Kunde und Dienstleister muss auch bei Pooling-Systemen erhalten bleiben.
  2. Risiken und Fallstricke Mehrere Faktoren können die Steuerfreiheit bei Pooling-Systemen gefährden:

    • Vermischung von Arbeitnehmer- und Unternehmertrinkgeld: Wenn der Inhaber selbst Trinkgeld annimmt und dieses mit dem Mitarbeiterpool vermischt, kann dies die Steuerfreiheit des Mitarbeiterpools gefährden.
    • Abzug von Betriebskosten aus dem Pool: Die Entnahme pauschaler Betriebskosten (z.B. für Glasbruch) aus dem Trinkgeldpool kann zum Verlust der Steuerfreiheit führen.
    • Beteiligung von Personen ohne direkten Kundenkontakt: Die Ausdehnung des Pools auf Mitarbeiter ohne direkten oder nur geringen Kundenkontakt (z.B. reine Verwaltungsmitarbeiter oder Küchenpersonal ohne direkten Gästekontakt) kann die Steuerfreiheit gefährden, da der "persönliche Bezug" verloren gehen kann.
    • Arbeitgeber bestimmt die Verteilung: Wenn der Arbeitgeber die Verteilung bestimmt und dies als Form der Vergütung für die Arbeitsleistung erscheint, kann dies als steuerpflichtiger Arbeitslohn oder Unternehmertrinkgeld gewertet werden.


IV. Dokumentationspflichten und GoBD-Konformität


Die Grundsätze zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff (GoBD) sind für alle Unternehmen verpflichtend.

  1. Allgemeine Anforderungen Alle steuerrelevanten Unterlagen müssen nachvollziehbar, nachprüfbar, vollständig, richtig, zeitgerecht, geordnet und unveränderbar sein. Jede Buchung muss durch einen Beleg gestützt sein, und Bargeldeinnahmen/-ausgaben sind täglich zu erfassen.

  2. Spezifische Anforderungen für digitale Kassensysteme und Trinkgeldverwaltung (ab 2025) Die Vorschriften zur Trinkgeldversteuerung werden ab 2025 strenger, insbesondere hinsichtlich der Dokumentationspflichten und der digitalen Nachvollziehbarkeit.

    • Elektronische Trinkgeldverteilung muss GoBD-konform dokumentiert werden.
    • Digitale Kassensysteme müssen alle Geschäftsvorfälle systematisch erfassen und klar zwischen Rechnungsbetrag und Trinkgeld unterscheiden können.
    • Trinkgelder müssen individuell nachweisbar und prüfbar dokumentiert werden. Ein "digitales Trinkgeldbuch" für Mitarbeiter könnte in der Praxis notwendig werden.
    • Die Finanzverwaltung wird ab 2025 einen verstärkten Prüffokus auf Trinkgelder legen.
    • Wird ein Trinkgeld-Gemeinschaftsfonds in bar auf den Geschäftsräumen aufbewahrt, muss dessen Bestand im Kassenbuch ("Safebuch") dokumentiert und jederzeit durch einen Kassensturz prüfbar sein.

Die zunehmende Verbreitung bargeldloser Zahlungen macht Trinkgeldflüsse für die Finanzverwaltung nachvollziehbarer, was direkt die verschärften GoBD-Anforderungen verursacht.

V. Fazit und Handlungsempfehlungen

Die korrekte Behandlung von Trinkgeldern erfordert eine genaue Kenntnis der gesetzlichen Bestimmungen und der aktuellen Rechtsprechung.

  • Für Arbeitnehmer bleibt freiwilliges Trinkgeld, das von Dritten ohne Rechtsanspruch und zusätzlich zum Arbeitslohn gezahlt wird, grundsätzlich steuer- und sozialversicherungsfrei. Dies gilt auch, wenn der Arbeitgeber als Treuhänder die Verteilung organisiert, solange er die ursprüngliche Freiwilligkeit und den persönlichen Bezug nicht durch eigene Bestimmung der Verteilung oder Vermischung mit betrieblichen Einnahmen verändert.
  • Für Unternehmer und Selbstständige stellt jedes erhaltene Trinkgeld eine steuer- und umsatzsteuerpflichtige Betriebseinnahme dar. Die Freiwilligkeit der Zahlung spielt hier keine Rolle, da das Trinkgeld als Entgelt für die unternehmerische Leistung gilt.
  • Die Verwaltung von Trinkgeldpools erfordert besondere Sorgfalt. Risiken bestehen insbesondere bei der Vermischung mit Unternehmertrinkgeld, dem Abzug von Betriebskosten oder der Beteiligung von Personal ohne direkten Kundenkontakt. Transparenz und zeitnahe Verteilung sind hierbei von höchster Bedeutung.
  • Angesichts der ab 2025 verschärften Dokumentationspflichten und GoBD-Anforderungen ist eine proaktive Anpassung der betrieblichen Prozesse dringend geboten. Unternehmen sollten in GoBD-konforme Systeme investieren und ihre Mitarbeiter schulen, um die Nachvollziehbarkeit und Unveränderbarkeit aller Trinkgeldtransaktionen zu gewährleisten.

Handlungsempfehlungen:

  • Klare Abgrenzung der Trinkgeldarten: Vermeiden Sie Formulierungen auf Speisekarten oder in Verträgen, die einen Rechtsanspruch auf Trinkgeld begründen könnten.
  • Transparente und regelkonforme Trinkgeldpools: Etablieren Sie schriftliche Vereinbarungen über den Verteilungsschlüssel und eine zeitnahe Auszahlung. Vermeiden Sie die Vermischung von Unternehmertrinkgeld mit Mitarbeiterpools oder die Deckung betrieblicher Kosten aus dem Pool. Der Kreis der Empfänger sollte auf das tatsächlich serviceleistende Personal beschränkt sein.
  • Lückenlose Dokumentation: Sorgen Sie für eine GoBD-konforme Erfassung aller Trinkgeldeinnahmen, insbesondere bei Kartenzahlungen. Digitale Kassensysteme sollten Trinkgeld und Rechnungsbetrag klar trennen und die Zuordnung zu Mitarbeitern nachvollziehbar machen. Ein digitales Trinkgeldbuch für Mitarbeiter kann hilfreich sein.
  • Schulung des Personals: Informieren Sie Mitarbeiter regelmäßig über die korrekte Annahme, Erfassung und Verteilung von Trinkgeldern.
  • Regelmäßige Überprüfung: Überprüfen Sie interne Prozesse und Dokumentationspraktiken regelmäßig und holen Sie bei Unsicherheiten fachkundigen steuerlichen und rechtlichen Rat ein.


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