Werkstudentenprivileg in Deutschland

Erstellt von Sebastian Schulze, Geändert am Do, 24 Jul um 1:25 NACHMITTAGS von Sebastian Schulze


Das Werkstudentenprivileg in Deutschland: Rechtliche Rahmenbedingungen und praktische Umsetzung

Die Beschäftigung von Studierenden als Werkstudenten ist für Unternehmen in Deutschland eine attraktive Möglichkeit, qualifizierte Arbeitskräfte flexibel einzusetzen und gleichzeitig von reduzierten Sozialversicherungsbeiträgen zu profitieren. Dieses sogenannte "Werkstudentenprivileg" ist jedoch an spezifische und komplexe rechtliche Rahmenbedingungen geknüpft, deren Nichteinhaltung erhebliche finanzielle und rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann.


1. Definition und Bedeutung des Werkstudentenprivilegs


Der Begriff „Werkstudent“ ist primär im Sozialversicherungsrecht verankert. Ein Werkstudent kann in nahezu jedem Bereich tätig sein, solange die primären Voraussetzungen erfüllt sind. Das Werkstudentenprivileg ermöglicht es Studierenden, neben ihrem Studium einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, ohne dass sie voll in die Sozialversicherung einbezogen werden. Dies stellt einen bedeutenden Anreiz für Unternehmen dar, da es die Arbeitskosten im Vergleich zu regulären Arbeitnehmern erheblich reduziert.


Konkret bedeutet dies, dass für die Beschäftigung keine Beiträge zur Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung abgeführt werden müssen. Dies gilt unabhängig von der Höhe des erzielten Arbeitsentgelts. Lediglich Beiträge zur Rentenversicherung sind grundsätzlich zu entrichten.


2. Voraussetzungen für den Werkstudentenstatus


Um das Werkstudentenprivileg in Anspruch nehmen zu können, müssen mehrere zentrale Voraussetzungen erfüllt sein:

  • Ordnungsgemäße Immatrikulation ("ordentlich Studierender") Der Studierende muss an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule oder einer der fachlichen Ausbildung dienenden Schule (Fachschule) als ordentlicher Student immatrikuliert sein. Dazu gehören Universitäten, Technische Hochschulen, Fachhochschulen, sowie Fachschulen, Höhere Fachschulen und Berufsfachschulen. Der Nachweis der Immatrikulation ist für jedes Semester neu zu erbringen und in den Entgeltunterlagen zu führen.

    • Ausnahmen und Besonderheiten:
      • Urlaubssemester: Studierende in einem Urlaubssemester gehören grundsätzlich nicht zu den ordentlich Studierenden, da sie nicht am Studienbetrieb teilnehmen. Eine währenddessen ausgeübte Beschäftigung ist daher nicht versicherungsfrei im Rahmen des Werkstudentenprivilegs.
      • Promotionsstudium: Studierende, die nach ihrem Hochschulabschluss ein Promotionsstudium aufnehmen, zählen in der Regel nicht zu den ordentlich Studierenden, da die Promotion der wissenschaftlichen Qualifikation nach dem Studium dient und nicht zur wissenschaftlichen Ausbildung zählt.
      • Studienkollegs und Sprachkurse: Teilnehmer an studienvorbereitenden Sprachkursen oder Studienkollegs gehören grundsätzlich nicht zum Personenkreis der ordentlich Studierenden, auch wenn sie eine entsprechende Studienbescheinigung erhalten. Eine neben dem Besuch eines Studienkollegs ausgeübte Beschäftigung unterliegt daher grundsätzlich der Sozialversicherungspflicht.
      • Aufbau-, Zweit- oder Masterstudium: Das Werkstudentenprivileg kann auch bei einem Aufbau-, Zweit- oder Masterstudium Anwendung finden, sofern es sich um einen geregelten Studiengang handelt, der mit einer Hochschulprüfung abschließt. Beim nahtlosen Übergang vom Bachelor- zum Masterstudium bleibt die Eigenschaft des ordentlich Studierenden erhalten. Bei Unterbrechungen von mehr als einem Monat entfällt sie jedoch.
      • Wechsel der Hochschule/Fachhochschule: Ein Wechsel führt nicht zum Verlust des Status, auch wenn eine kurze Lücke von bis zu einem Monat entsteht.
      • Studienende: Der Werkstudentenstatus endet nicht mit der letzten Prüfung, sondern mit Ablauf des Monats, in dem der Studierende offiziell schriftlich über das Gesamtergebnis der Prüfungsleistung informiert wird. Der Arbeitgeber trägt die Beweislast für den Studentenstatus und muss entsprechende Nachweise (z.B. Semesterbescheinigungen und die erste Mitteilung des Prüfungsamtes über das Ergebnis) in den Entgeltunterlagen aufbewahren.
      • Teilzeit- und Fernstudium: Das Werkstudentenprivileg gilt für Teilzeitstudierende, wenn das Studium mehr als die Hälfte der Zeit eines Vollzeitstudiums ausmacht. Bei einem Vollzeit-Fernstudium kann es ebenfalls angewendet werden.
  • Studium im Vordergrund ("20-Stunden-Regel") Dies ist die übergeordnete und wichtigste Bedingung. Zeit und Arbeitskraft des Studierenden müssen überwiegend durch das Studium in Anspruch genommen werden.

    • Regelarbeitszeit während der Vorlesungszeit: Die fundamentale Regel besagt, dass Studierende während der Vorlesungszeit nicht mehr als 20 Stunden pro Woche arbeiten dürfen. Wird diese Grenze regelmäßig überschritten, geht der Werkstudentenstatus verloren, und es tritt die volle Sozialversicherungspflicht als regulärer Arbeitnehmer ein.
    • Zusammenrechnung mehrerer Beschäftigungen: Wenn ein Studierender bei mehreren Arbeitgebern tätig ist, werden alle Beschäftigungen (einschließlich Minijobs und kurzfristiger Beschäftigungen) zeitlich addiert. Die Gesamtstundenzahl aus allen Beschäftigungen darf die 20-Stunden-Grenze in der Vorlesungszeit nicht überschreiten.
    • Gelegentliches Überschreiten: Ein unvorhergesehenes, geringfügiges und gelegentliches Überschreiten der 20-Stunden-Grenze muss nicht sofort zum Verlust des Werkstudentenprivilegs führen, sofern es zeitnah korrigiert wird und nicht als Planungsgrundlage dient. Um Risiken zu vermeiden, sollten regelmäßige Überschreitungen (abgesehen von zulässigen Ausnahmen) vermieden werden.
  • Ausnahmen von der 20-Stunden-Grenze (unter Beachtung der 26-Wochen-Regelung) Das Werkstudentenprivileg kann auch bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von mehr als 20 Stunden in folgenden Fällen bestehen, solange das Studium weiterhin überwiegt:

    • Arbeit in den Semesterferien (vorlesungsfreie Zeit): In den Semesterferien dürfen Werkstudenten ihre Arbeitszeit auf über 20 Stunden pro Woche erhöhen, potenziell sogar bis zu 40 Stunden (Vollzeit), ohne den Status zu verlieren. Dies gilt, solange die Beschäftigung ausschließlich auf die vorlesungsfreie Zeit begrenzt ist. Kurzzeitige Überschneidungen (bis zu zwei Wochen) mit der Vorlesungszeit können toleriert werden.
    • Arbeit am Wochenende, in den Abend- und Nachtstunden: Wenn die Mehrarbeit ausschließlich in diesen Randzeiten geleistet wird, kann die 20-Stunden-Grenze auch während der Vorlesungszeit überschritten werden.
    • Die 26-Wochen-Regelung (182 Kalendertage): Diese Regelung dient dazu, Versicherungsfreiheit bei Überschreitungen der 20-Stunden-Grenze zu begrenzen und nicht zu begründen. Sie erlaubt es, innerhalb eines Zeitjahres (nicht Kalenderjahres) bis zu 26 Wochen mit mehr als 20 Stunden pro Woche zu arbeiten, wenn die oben genannten Ausnahmen zutreffen. Wird diese Grenze überschritten, tritt die volle Sozialversicherungspflicht ein. Die Berechnung des Zeitjahres erfolgt rückwirkend vom voraussichtlichen Ende der zu beurteilenden Beschäftigung.
  • Duale Studiengänge und Studienbeihilfen Teilnehmer an dualen Studiengängen sind den zur Berufsausbildung Beschäftigten gleichgestellt und unterliegen in der Regel der vollen Sozialversicherungspflicht (KV, PV, RV, AF), unabhängig vom Umfang der Beschäftigung. Dies gilt auch für Empfänger von Studienbeihilfen, wenn die Förderung an bestimmte betriebliche Bedingungen geknüpft ist. Das Werkstudentenprivileg kommt hier grundsätzlich nicht zur Anwendung, da diese Personen ihrem Erscheinungsbild nach Arbeitnehmer und nicht Studierende sind.


3. Weitere Beschäftigungsformen und deren sozialversicherungsrechtliche Behandlung


  • Geringfügig entlohnte Beschäftigung (Minijob): Eine Beschäftigung mit einem monatlichen Arbeitsentgelt bis zur Geringfügigkeitsgrenze (2025: 556 EUR) ist kranken-, pflege- und arbeitslosenversicherungsfrei. In der Rentenversicherung besteht grundsätzlich Versicherungspflicht, von der sich der Studierende auf Antrag befreien lassen kann. Bei einem Minijob findet das Werkstudentenprivileg im sozialversicherungsrechtlichen Sinne keine Anwendung. Arbeitgeber zahlen Pauschalbeiträge zur Kranken- und Rentenversicherung sowie Umlagen.
  • Kurzfristige Beschäftigung: Eine Beschäftigung, die auf maximal drei Monate oder 70 Arbeitstage innerhalb eines Kalenderjahres befristet ist, ist in allen Sozialversicherungszweigen versicherungsfrei. Die Höhe des Arbeitsentgelts und die wöchentliche Arbeitszeit spielen keine Rolle. Wenn eine solche Beschäftigung über die ursprüngliche Befristung hinaus verlängert wird und die Zeitgrenzen überschreitet, tritt die Sozialversicherungspflicht ab dem Zeitpunkt ein, an dem dies bekannt wird.
  • Praktika:
    • Vorgeschriebene Praktika(z.B. in Studien- oder Prüfungsordnungen festgelegt) gelten als Beschäftigungen im Rahmen betrieblicher Berufsbildung.
      • Vorpraktika und Nachpraktika: Sind diese Praktika vorgeschrieben und wird Arbeitsentgelt gezahlt, besteht volle Sozialversicherungspflicht als zur Berufsausbildung Beschäftigter (Arbeitnehmer). Wird kein Arbeitsentgelt gezahlt, besteht KV- und PV-Pflicht als Praktikant.
      • Zwischenpraktika: Bei vorgeschriebenen Zwischenpraktika, die während des Studiums absolviert werden und bei denen der Praktikant immatrikuliert bleibt, besteht KV-, PV- und AF-Freiheit im Rahmen der Werkstudentenregelung. In der Rentenversicherung sind diese Praktika versicherungsfrei. Die Dauer und Höhe des Arbeitsentgelts sind dabei unbeachtlich.
    • Nicht vorgeschriebene Praktika: Hier gelten die allgemeinen Regelungen. Bei entgeltlicher Ausübung besteht grundsätzlich volle Sozialversicherungspflicht als Arbeitnehmer. Allerdings kann bei geringfügig entlohnten oder kurzfristigen Beschäftigungen Versicherungsfreiheit in KV, PV und AF bestehen. Nicht vorgeschriebene Zwischenpraktika werden nach der Werkstudenten-Regelung beurteilt.


4. Arbeitsrechtliche Aspekte


Werkstudenten sind rechtlich als vollwertige Arbeitnehmer anzusehen und unterliegen daher den allgemeinen Bestimmungen des Arbeitsrechts.

  • Anspruch auf Mindestlohn, Urlaub und Lohnfortzahlung: Werkstudenten haben Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn (seit Januar 2025: 12,82 €) und einen anteiligen Mindesturlaubsanspruch. Eine Ausnahme vom Mindestlohn bildet lediglich das vorgeschriebene Pflichtpraktikum. Zudem besteht Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Feiertagsvergütung.
  • Kündigungsschutz und Befristung: Werkstudenten unterliegen dem Kündigungsschutzgesetz, sofern das Unternehmen regelmäßig mehr als 10 Vollzeit-Mitarbeiter beschäftigt, und besonderer Kündigungsschutz gilt analog. Befristungen von Arbeitsverträgen unterliegen dem Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) und müssen schriftlich erfolgen.
  • Arbeitszeitgesetz (ArbZG): Das Arbeitszeitgesetz findet ohne Ausnahmen oder Besonderheiten Anwendung.


5. Arbeitszeiterfassung und Arbeitszeitkonten


Arbeitgeber in Deutschland sind gesetzlich verpflichtet, die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter systematisch zu erfassen. Für Werkstudenten ist die genaue Arbeitszeiterfassung von überragender Bedeutung, da sie direkt mit der Einhaltung des Werkstudentenstatus verbunden ist.

  • Dokumentationspflicht: Die Einhaltung der 20-Stunden-Obergrenze während der Vorlesungszeit und der 26-Wochen-Regel muss lückenlos dokumentiert werden. Die Dokumentation muss vollständig, nachvollziehbar und gesetzeskonform sein, inklusive Beginn, Ende und Pausenzeiten der täglichen Arbeitszeit.
  • Arbeitszeitkonten: Ein Arbeitszeitkonto kann dazu beitragen, die Flexibilität von Werkstudenten zu erhalten, indem es eine präzise Erfassung und den Ausgleich von Arbeitszeiten über längere Perioden ermöglicht. Es dient als wichtiges Instrument zur Überwachung der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit, zur Dokumentation von Überstunden und deren Ausgleich und als Nachweis für Sozialversicherungsträger.
  • Überstunden: Auch mit geleisteten Überstunden darf die reguläre 20-Wochenstunden-Grenze in der Vorlesungszeit nicht überschritten werden. Angeordnete Überstunden müssen erfasst und durch Freizeitausgleich abgegolten werden, idealerweise innerhalb desselben Semesters.


6. Konsequenzen bei Nichteinhaltung


Wird die 20-Stunden-Grenze in der Vorlesungszeit regelmäßig überschritten oder die 26-Wochen-Grenze im Zeitjahr nicht eingehalten, geht der Werkstudentenstatus verloren. Der Studierende wird dann ab dem Zeitpunkt der Nichteinhaltung als regulärer Arbeitnehmer eingestuft und unterliegt somit der vollen Sozialversicherungspflicht in allen Zweigen(Kranken-, Pflege-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung). Im schlimmsten Fall muss der Arbeitgeber alle Beiträge, einschließlich des Arbeitnehmeranteils, rückwirkend nachzahlen. Die Rückforderung dieses Arbeitnehmeranteils vom Studierenden ist in der Praxis oft schwierig.


7. Empfehlungen für Unternehmen


Um Compliance zu gewährleisten und Risiken zu minimieren, werden folgende Handlungsempfehlungen für die Praxis gegeben:

  • Regelmäßige Statusprüfung: Implementieren Sie Prozesse zur halbjährlichen Überprüfung des Immatrikulationsstatus und des Studienfortschritts der Werkstudenten.
  • Klare vertragliche Regelungen: Gestalten Sie Arbeitsverträge präzise und weisen Sie auf die Konsequenzen der Überschreitung der Stundengrenzen sowie die Zusammenrechnung von Arbeitszeiten aus mehreren Beschäftigungen hin.
  • Digitales Zeiterfassungssystem: Führen Sie ein robustes, objektives und zugängliches System zur Erfassung der gesamten Arbeitszeit ein. Dies ist unerlässlich, um die Einhaltung der 20-Stunden-Regel und der 26-Wochen-Regel nachweisen zu können.
  • Schulung von Führungskräften und HR-Mitarbeitern: Sensibilisieren und schulen Sie alle relevanten Personen umfassend zu den spezifischen Regelungen für Werkstudenten.
  • Proaktive Kommunikation mit Werkstudenten: Informieren Sie Werkstudenten transparent über die Auswirkungen ihrer Arbeitszeit auf ihren Sozialversicherungsstatus, BAföG-Anspruch, Kindergeld und Familienversicherung. Ermutigen Sie sie zur Offenlegung aller weiteren Beschäftigungen.
  • Rechtliche Beratung: Ziehen Sie bei Unsicherheiten oder komplexen Sachverhalten frühzeitig rechtliche Beratung durch einen Fachanwalt hinzu.

Durch die konsequente Umsetzung dieser Empfehlungen können Unternehmen die Vorteile der Beschäftigung von Werkstudenten nutzen und gleichzeitig die komplexen rechtlichen Anforderungen sicher erfüllen.



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